Gute Drogen, schlechte Drogen
Der inkonsequente Umgang mit Drogen in unserer Gesellschaft
Ein Politiker zieht seine Kandidatur zurück – wegen Kokainkonsums. Aber über andere Drogen wird nicht gesprochen. Das ist heuchlerisch, sagt Dr. Hontschick.
Kaum hatte sich der Osnabrücker SPD-Bundestagsabgeordnete in einer Kampfabstimmung erneut als Direktkandidat für seinen Wahlkreis durchgesetzt, da zog er seine Kandidatur auch schon wieder zurück. Recherchen der Neuen Osnabrücker Zeitung und des Berliner Tagesspiegels hatten ihn des Drogenkonsums überführt. Er habe die Dauerbelastung als Abgeordneter und öffentliche Person nicht mehr ausgehalten und dem Druck im Berliner Politikbetrieb und privaten Problemen entfliehen wollen. Von Sommer bis Ende 2023 habe er „mit einer gewissen Regelmäßigkeit“ Kokain konsumiert, sagte er.
Kokain, das Alkaloid der Blätter des Cocastrauches (Erythroxylum coca), wirkt euphorisierend und stimulierend. Als Rauschdroge unterliegt es bekanntlich dem Betäubungsmittelgesetz. Dass Bundestagsabgeordnete möglicherweise eine erhöhte Affinität zu solchen Drogen haben, ist schon seit 25 Jahren bekannt, als Reporter des Fernsehsenders SAT.1 im Reichstag in 22 der 28 Toiletten Reste von Kokain nachweisen konnten, obwohl diese laut Bundestagsverwaltung bis zu zwei Mal täglich gereinigt werden. Kurz danach kam auch der Palast von Westminster, der Sitz des britischen Parlaments, in die Schlagzeilen. Bei dortigen Schnelltests in den weitläufigen Gebäuden fanden sich in elf von zwölf Toiletten Kokainspuren, berichtet damals die „Sunday Times“.
Die Nachrichten vom Gebrauch des Kokains werden gehandelt wie große Skandale. Im Grunde genommen ist das aber eine verlogene Doppelzüngigkeit. Andere, nicht weniger gefährliche und Abhängigkeit verursachende Drogen werden weder geächtet noch kontrolliert.
Da ist zum Beispiel das Tramadol, entwickelt in den 1960er-Jahren und erstmals 1977 von der Pharmafirma Grünenthal patentiert, ein Schmerzmittel aus der Gruppe der Opiate. Aus völlig unverständlichen Gründen fällt dieses Opioid in Deutschland nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Ähnlich dem Oxycodon in den USA gilt Tramadol hierzulande zunehmend als Einstiegsdroge, mit dessen Gebrauch chronische Schmerzpatienten in großer Zahl zu Drogensüchtigen werden. Der Schritt zum Oxycodon ist klein, und auch in Deutschland wächst inzwischen der Schwarzmarkt mit Fentanyl, was heute in den USA in der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren schon zur häufigsten Todesursache geworden ist.
Fentanyl steht im Mittelpunkt der dritten Welle der Opioid-Krise in den USA, nach Oxycontin und Heroin. Fentanyl ist ein synthetisches Opioid und wirkt fünfzig Mal stärker als Heroin. In der Medizin kommt es bekanntlich besonders in der Anästhesie und der Geburtshilfe als schnellwirksames Analgetikum zur Anwendung. Das Suchtpotenzial von Fentanyl ist enorm.
Illegal hergestelltes Fentanyl stammt überwiegend aus China und Mexiko. Im Jahr 2021 starben in den USA 70.000 Menschen an Fentanyl, und es werden immer mehr. Der Rückgang der Lebenserwartung in den USA wird auf die Zunahme der Drogentoten zurückgeführt. Fentanyl beginnt gerade, den illegalen Markt in Europa, auch hierzulande zu erobern.
Als gänzlich inkonsequent in unserer Gesellschaft entpuppt sich der Umgang mit Drogen beim Vergleich von Marihuana und Alkohol. Während Marihuana sogar zum Streitthema von Auseinandersetzungen der Unions-SPD-Koalition im Bund geworden ist, als gäbe es keine größeren Probleme auf der Welt, ist der Umgang mit Alkohol nicht einmal in einem Nebensatz ein Thema. Aber drei Millionen Deutsche leben mit einer gesundheitlichen Störung durch alkoholbedingten Missbrauch, und im Jahr 2020 starben in Deutschland über 14.000 Menschen (ca. 10.000 Männer und knapp 4.000 Frauen) an einer ausschließlich durch Alkoholkonsum bedingten Krankheit.
Der Umgang mit Drogen ist in unserer Gesellschaft widersprüchlich, heuchlerisch, teilweise sogar verlogen. In meiner langjährigen ärztlichen Tätigkeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass man dem Drogenproblem weder mit Strafandrohungen noch mit Verboten zu Leibe rücken kann. So kann man mit Erwachsenen nicht umgehen. Die einzige Möglichkeit ist Ursachenforschung, verbunden mit dem Angebot qualifizierter Hilfe. Daran mangelt es aber auf allen Ebenen.