Schnellere Produktentwicklung durch neues Bearbeitungsverfahren

Neues Y-Achsen-Drehen ermöglicht die Bearbeitung mehrere Bauteilmerkmale mit nur einem Werkzeug

Das Drehen entlang der Y-Achse bietet zahlreiche Vorteile, darunter die Möglichkeit, mehrere Bauteilmerkmale mit nur einem Werkzeug zu bearbeiten, was die Durchlaufzeit verkürzt.

Um den sich schnell ändernden Marktanforderungen gerecht zu werden, wird von Fertigungsunternehmen erwartet, dass sie ihre Produktentwicklungszyklen beschleunigen - und dennoch verlieren sie Hunderte von Arbeitsstunden durch Maschinenstillstände und unnötige Werkzeugwechsel. Staffan Lundström, Produktmanager und Anwendungsspezialist für das Drehen beim Zerspanungsspezialisten Sandvik Coromant, zeigt, wie das innovative Y-Achsen-Drehen Verzögerungen vermeiden und eine schnellere Fertigung ermöglichen kann.

Die Anforderungen an die Fertigungsunternehmen von heute lassen sich wie folgt zusammenfassen: Innovativere und hochwertigere Produkte schneller und in kürzerer Zeit herstellen. Wenn dann noch Nachhaltigkeitsinitiativen hinzukommen, wird schnell klar, dass Unternehmen aller Branchen ganzheitliche Strategien benötigen, um diese Herausforderungen zu meistern und gleichzeitig der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein.

Doch was bedeutet eine „ganzheitliche Strategie“ im Bereich der Fertigung? Der PwC-Bericht Achieving Excellence in Production and Supply schlägt als Antwort auf die steigenden Energie- und Rohstoffpreise unter anderem vor, dass Unternehmen ihre Prozesse überwachen und optimieren, um sie so effizient wie nur irgend möglich zu gestalten.

Dies setzt auch voraus, dass die Unternehmen ihre Produktentwicklungszyklen beschleunigen müssen, um den sich ständig ändernden Leistungs- und Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden. Eine mögliche Lösung ist die „On-Demand-Fertigung“, bei der genau das geliefert wird, was der Kunde in Bezug auf Menge und Spezifikation benötigt. Ermöglicht wird dies durch den Einsatz neuester additiver Fertigungsverfahren (AM) wie dem 3D-Druck, die sowohl die Fertigung als auch das Prototyping beschleunigen. In anderen Bereichen nutzen Unternehmen künstliche Intelligenz (KI) und Industrie 4.0-Konzepte, um ihre Prozesse zu optimieren.

So offensichtlich die Vorteile dieser Verfahren auch sind, sollten Fertigungsunternehmen die neuesten Entwicklungen in der CNC-Bearbeitung nicht außer Acht lassen. Denn auch Fertigungskonzepte, die auf den ersten Blick alt erscheinen, haben das Potenzial, Produktentwicklungszyklen deutlich zu verbessern. So können der Winkel, in dem eine Wendeschneidplatte das Werkstück bearbeitet, die Art und Weise, wie sich das Werkzeug selbst bewegt – etwa durch schnellere Richtungswechsel – und die Leistungsfähigkeit des Werkzeugs hinsichtlich Verschleißfestigkeit oder Prozesssicherheit modifiziert werden. Und was auf den ersten Blick wie ein altes Konzept aussieht, ist plötzlich viel fortschrittlicher.

Solche Lösungen gehen Hand in Hand mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung von CAM-Software (Computer Aided Manufacturing). Mit ihrer Hilfe können Fertigungsunternehmen komplexere und innovativere Konstruktionen realisieren, ohne Abstriche bei der Produktqualität machen zu müssen – für insgesamt schnellere Produktentwicklungszyklen.

Werkzeugwege generieren

CAM-Software ist in der Lage, einer Maschine zu sagen, wie sie ein Produkt fertigen soll. Dazu werden Werkzeugwege generiert. Ein wichtiger Faktor für eine effizientere Bearbeitung ist beispielsweise der Einstellwinkel, mit dem das Werkzeug auf das Werkstück trifft – ein zu großer Winkel hat eine Schwächung der Schneidkante und Brüche zur Folge, ein zu kleiner Winkel kann bei hohen Vorschubgeschwindigkeiten zu Werkzeugreibung und damit zu schneller Erhitzung und Werkzeugbruch führen.

Mithilfe von CAM-Software kann ein Werkzeug so programmiert werden, dass es im optimalen Winkel in das Werkstück eintaucht und diesen Winkel konstant beibehält, was die Spankontrolle erheblich verbessert. Die Software kann auch bestimmen, wann das Werkzeug in das Werkstück eintaucht oder sich zurückzieht, bevor es schnell und sicher zum nächsten Punkt fährt und den Vorgang wiederholt.

CAM-Software allein kann jedoch nicht die Anforderungen an komplexere und innovativere Formen erfüllen. Die Kunden von Sandvik Coromant – Unternehmen aus der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrtindustrie, dem allgemeinen Maschinenbau und weiteren Branchen – fordern effizientere und vorhersagbarere Bearbeitungsprozesse. Mit anderen Worten: Sie wollen ihre Produktionsleistung steigern, ohne die Qualität der Komponenten zu beeinträchtigen.

Eine weitere wichtige Anforderung ist eine höhere Maschinenauslastung. Laut Forbes hat ein durchschnittlicher Fertigungsbetrieb 800 Stunden Maschinenstillstand pro Jahr, das sind mehr als 15 Stunden pro Woche. Das ist angesichts der sich heute schnell ändernden Marktanforderungen nicht akzeptabel. Und auch der Werkzeugwechsel kostet Zeit – bis zu 20 Sekunden kann es dauern, ein Zerspanungswerkzeug zu wechseln.

Aus diesem Grund haben die Experten von Sandvik Coromant nach einer Lösung gesucht, die die Bearbeitung mehrerer Bauteilmerkmale mit nur einem Werkzeug ermöglicht. Die Entscheidung fiel auf ein Verfahren, bei dem die Schnittkräfte in den Werkzeughalter geleitet werden, um eine höhere Prozessstabilität mit einem konstanten, festen Einstellwinkel für eine deutlich verbesserte Spankontrolle zu erreichen. Das Ergebnis ist das Drehen entlang der Y-Achse.

Komplexe Formen

Wie funktioniert das Y-Achsen-Drehen? Wie der Name schon sagt, wird bei diesem neuen Verfahren insbesondere die Y-Achse genutzt, wobei während der Bearbeitung alle drei Achsen gleichzeitig verwendet werden. Dabei dreht sich das Werkzeug um seinen Mittelpunkt, die Wendeschneidplatte wird für die Bearbeitung in der Y-Z-Ebene positioniert und die Frässpindelachse interpoliert während des Drehens. Auf diese Weise können komplexe Formen mit einem einzigen Werkzeug gefertigt werden.

Es gibt viele Vorteile beim Drehen entlang der Y-Achse. Die Möglichkeit, mehrere Bauteilmerkmale mit nur einem Werkzeug zu bearbeiten, verkürzt die Bearbeitungszeit. Und die Tatsache, dass kein Werkzeugwechsel erforderlich ist, minimiert das Risiko von „Mischpunkten“, das heißt Unebenheiten zwischen benachbarten bearbeiteten Flächen.

Das Drehen entlang der Y-Achse ermöglicht es zudem, die in das Werkzeug geleiteten Schnittkräfte zu beeinflussen, was sich direkt auf die Stabilität auswirkt. Hierdurch werden Vibrationen zwischen Werkzeug und Werkstück, die zu Unebenheiten auf der Werkstückoberfläche führen, minimiert und eine höhere Produktivität und Prozesssicherheit erreicht. Gleichzeitig verbessert ein konstanter Einstellwinkel die Spankontrolle erheblich und erleichtert die Vermeidung eines Spänestaus.

Passende Werkzeuge

Wiper-Wendeschneidplatten können senkrecht zur Oberfläche und auf einer verjüngten Fläche eingesetzt werden. Die Wiper-Schneide befindet sich am Übergang von der geraden Schneidkante zum Eckenradius. Im Vergleich zu herkömmlichen Spanbrechern verschlechtert sich die Oberflächengüte nicht, selbst wenn die Vorschubgeschwindigkeit verdoppelt wird. Die Bearbeitung mit hohen Vorschubgeschwindigkeiten verbessert die Zerspanungsleistung und erhöht die Produktqualität.

Für das Drehen entlang der Y-Achse hat Sandvik Coromant zwei neue Werkzeuge entwickelt. Die neue CoroTurn® Prime Ausführung eignet sich für Wellen, Flansche und Bauteile mit Hinterschnitt. Außerdem gibt es das Doppelwerkzeug CoroPlex® YT, das mit CoroTurn TR Profildrehplatten ausgestattet ist und am besten bei einem Einstellwinkel zwischen 60 und 90 Grad für eine effizientere und produktivere Bearbeitung eingesetzt wird. Die CoroTurn 107 Rundwendeschneidplatten mit Führungsprofil eignen sich besonders für Bauteile mit Taschen und Kavitäten.

Neben der Möglichkeit, mehrere Bauteilmerkmale mit nur einem Werkzeug zu bearbeiten, was die Werkzeugwechsel deutlich reduziert, zeichnen sich die Werkzeuge durch einen gleichmäßigen Plattenverschleiß aus, was die Standzeit erhöht. Zudem werden die Schnittkräfte in den Werkzeughalter geleitet, was eine hohe Prozessstabilität gewährleistet. Das Y-Achsen-Verfahren eignet sich besonders für Multi-Task-Maschinen.

CAM-Software

In den letzten Jahren hat sich das Drehen mit Innovationen wie dem PrimeTurning™ Verfahren für das nichtlineare Drehen in alle Richtungen und dem Interpolationsdrehen enorm weiterentwickelt. Diese Fortschritte, kombiniert mit den fortschrittlichen Möglichkeiten moderner Maschinen und CAM-Software, waren die Voraussetzung für den neuen Y-Achsen-Drehprozess.

PrimeTurning und das Drehen entlang der Y-Achse werden nun vollständig von der Software GibbsCAM 2023 unterstützt, die zur Programmierung, Simulation und Steuerung jeder CNC-Maschine verwendet werden kann. In Kombination mit GibbsCAM reduziert das PrimeTurning Verfahren die Durchlaufzeiten nachweislich um bis zu 50 Prozent und erhöht die Standzeit der Wendeschneidplatten um bis zu 500 Prozent. PrimeTurning passt die Vorschubgeschwindigkeit an, um die Spandicke kontinuierlich zu steuern, was ideal für hohe Stückzahlen und unbemannte Fertigungsbereiche ist wie beispielsweise in einer 24/7-Produktion oder der „Lights Out Manufacturing“.

Fazit

Sandvik Coromant geht davon aus, dass PrimeTurning oder nichtlineares Drehen in Zukunft mit dem Drehen entlang der Y-Achse kombiniert wird, um die Produktivität von Fertigungsunternehmen auf ein noch höheres Niveau zu heben. Wie Reinertsen in seinem Buch The Principles of Product Development Flow: Second Generation Lean Product Development schreibt, können Fertigungsunternehmen mit diesem Verfahren Prioritäten setzen und Verzögerungen überwinden, die sich negativ auf die Rentabilität auswirken, und so ihre Produktentwicklungszyklen beschleunigen.

Sandvik Tooling Deutschland GmbH

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