Dr. Hontschik: Gute Rendite statt guter Medizin

Jetzt geht es auch Arztpraxen an den Kragen

Dr. Hontschik

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Immer weiterwachsende Klinikkonzerne locken inzwischen sogar internationales Kapital mit Renditen von bis zu zehn Prozent, was kein anderer Wirtschaftszweig zu bieten hat. Man könnte derartige Dividenden auch als Diebstahl von Gemeineigentum bezeichnen, meint Dr. Hontschik.

Dass im Bereich der Krankenhäuser private Investoren immer größeren Raum einnehmen, ist bekannt. Immer weiter wachsende Klinikkonzerne locken inzwischen sogar internationales Kapital mit Renditen von bis zu zehn Prozent, was kein anderer Wirtschaftszweig zu bieten hat. Man könnte derartige Dividenden auch als Diebstahl von Gemeineigentum bezeichnen. Könnte man, macht man aber nicht.

Dass im Bereich der Alten- und Pflegeheime private Investoren inzwischen ganze Pflegeheimketten zusammenkaufen und die gesamte stationäre professionelle Altenpflege zum Spielball von Profitinteressen wurde, ist auch bekannt. Jedes Jahr geht es um den großen Kuchen von 23 Milliarden Euro in der stationären und elf Milliarden Euro in der ambulanten Pflege. Die Wirtschaftsberater von PricewaterhouseCoopers kommen in Schwärmen: „Nach wie vor sehr gefragt ist das Segment Pflege. Das Jahr 2020 markiert ein Allzeithoch bei Fusionen und Übernahmen von stationären Einrichtungen. Der Wert der Transaktionen lag bei 3,4 Milliarden Euro und war damit so hoch wie nie zuvor.“ Man müsste global aktiven Investoren, Finanzjongleuren und Immobilienkonzernen dringend Einhalt gebieten. Müsste man, macht man aber nicht.

Dass inzwischen aber auch Arztpraxen unter dem Etikett „Medizinische Versorgungszentren“ zum Objekt international agierender Finanzinvestoren werden, ist noch kaum bekannt. In Anlehnung an die Polikliniken der DDR, die 1989 im Zuge der allgemeinen Anschlusswut mit ausradiert worden waren, wurde 2003 durch eine Gesetzesänderung eine neue Form der kassenärztlichen Versorgung ermöglicht.

Seitdem können Medizinische Versorgungszentren gegründet werden, in denen beliebig viele Ärzte und Ärztinnen und Psychotherapeuten, selbständig oder angestellt, in Vollzeit oder Teilzeit, fachgleich oder fachübergreifend, in Kooperation mit nichtärztlichen Heilberufen zusammenarbeiten können. Um Wildwuchs zu verhindern, müssen diese MVZs unter ärztlicher Leitung stehen. Das hört sich doch gut an. Das Modell ist flexibel, voller kreativem Potential und kann Berufsaussteiger mit familienfreundlichen Arbeitszeiten zurücklocken.

Dabei hatte man aber nicht mit der Kreativität des Kapitals gerechnet, das immer danach sucht, sich zu vermehren. Da nämlich fortan auch Krankenhäuser ein MVZ gründen können, konnten die wildesten Konstruktionen entstehen. Eine Mini-Klinik mit vier Betten und einem Schlaflabor in Nordhessen konnte plötzlich 150 Augenarzt-MVZs in ganz Deutschland betreiben. Diese investorenbetriebenen MVZs suchen sich die lukrativen Sparten aus, also Augenheilkunde und Orthopädie, wo inzwischen schon ein Fünftel der ambulant tätigen Ärzte in investorenbetriebenen, oder besser investorengetriebenen MVZs arbeiten.

Das Ziel der Private-Equity-Investoren ist natürlich nicht gute Medizin, sondern gute Rendite. So entstehen immer neue, immer größere Konstruktionen: Ein augenärztliches Oligopol wie die Ober-Scharrer-Gruppe hatte in einem Jahrzehnt vier verschiedene Eigentümer: 2011 die Londoner Private-Equity-Gesellschaft Palamon Capital Partners, 2018 dann der schwedische Nordish Capital Fund, und ab 2021 gehörten sie zu Veonet, einem augenärztlichen Leistungsanbieter in Deutschland, der Schweiz, Holland und Groß-britannien mit knapp 200 Augenarztzentren. Veonet wurde zuletzt im Dezember 2021 an den kanadischen Pensionsfonds Ontario Teacher’s Pension Plan Board bei einer Gewinnerwartung von 125 Millionen Euro für geschätzte zwei Milliarden Euros verkauft.

Niemand blickt mehr wirklich durch, und die Kassenärztlichen Vereinigung fürchten um ihre Monopolstellung. Man könnte das ganz einfach unterbinden, wenn MVZs beispielsweise der Gemeinnützigkeit unterliegen würden. Eine Entnahme von 125 Millionen Euro wäre dann nicht mehr möglich. Mit einer derart kleinen Gesetzesänderung durch den Gesundheitsminister der Herzen wäre dem Spuk ein Ende gesetzt.

Er könnte das unterbinden, macht er aber nicht.