Korruption im Staatsgewand

Das Böse ist immer und überall

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Dass ein Staatsanwalt exakt das tut, was er bei anderen mit übergroßer Härte verfolgt, ist etwas ganz Besonderes. Dr. Hontschik präsentiert einen unglaublichen Korruptions-Fall.

Es ist sieben Jahre her, da wurde ich von einem befreundeten Rechtsanwalt eingeladen, zusammen mit ihm eine Fortbildung in der Fachhochschule Frankfurt zu besuchen. Ein Oberstaatsanwalt namens Alexander Badle werde dort über „Das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ referieren. Damals herrschte erhebliche Unruhe unter uns niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, auch in meiner Praxis, denn die Paragraphen 299 des Strafgesetzbuchs waren gerade erheblich verschärft worden: „Wer als Angehöriger eines Heilberufs ... im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil ... als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Der Saal war brechend voll, denn niemand wusste so recht, was das in der Praxis bedeuten würde. Die Stimmung war angespannt, denn Alexander Badle, der spätere Leiter der bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt neu eingerichteten Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS), galt als harter Hund. Jeder im Saal war in Gedanken damit beschäftigt, das eigene Verhalten mit den Badleschen Interpretationen der neuen Straftatbestände abzugleichen. Keiner im Saal ahnte, dass wir gerade einem der mutmaßlich korruptesten Gesetzeshüter des Landes gelauscht hatten.

Das Gesundheitswesen ist für Korruption und Betrug genauso anfällig wie jeder andere Wirtschaftszweig. Schon 1798 befahl Friedrich Wilhelm, König von Preußen von Gottes Gnaden, dass Apotheker „sich der Weihnachtsgeschenke an Aerzte zu enthalten“ hätten. Die modernen Formen solcher Geschenktätigkeiten sind vielfältig. Weit verbreitet sind die sogenannten Anwendungsbeobachtungen: Ein Pharmakonzern zahlt für die Bevorzugung seines Medikamentes an die Verordner eine Geldsumme, die dafür zum Schein ein Formular namens „Anwendungsbeobachtung“ ausfüllen. Andere Konzerne laden zur Teilnahme an luxuriösen Fortbildungen in besonders schönen Gegenden ein. Pharmakonzerne investieren in Deutschland knapp 600 Millionen Euro in solche Art von Werbung. Was ist Information, was ist Werbung, was ist Korruption? Korruption ist, wenn Krankenhäuser für eine stationäre Einweisung Kopfprämien überweisen. Korruption ist, wenn Radiologen für eine Überweisung zum MRT oder zum CT hundert Euro zahlen. Korruption ist, wenn Sanitätshäuser die Verordner am Umsatz beteiligen, sogenanntes Kickback. Korruption ist, wenn Krankenkassen Prämien für „Diagnosekorrekturen“ bezahlen, um an mehr Geld zu kommen, sogenanntes Upcoding. Korruption macht die Medizin kaputt, weil die Indikationen nicht mehr stimmen. An diesem Abend hat Herr Badle uns ordentlich eingeheizt, und schon auf dem Heimweg wurde im Geist gecheckt, ob er demnächst an der Praxistür zur Hausdurchsuchung klingeln wird. Aber es sollte alles anders kommen, ganz anders.

Im Juli 2020 klingelte es tatsächlich an der Tür, aber nicht an einer Arztpraxis, sondern bei Herrn Badle daheim. Der 53-jährige Oberstaatsanwalt wurde festgenommen! Er soll über 15 Jahre den Staat betrogen haben. Er habe einer Firma, die sein ebenfalls verhafteter Mittäter auf seine Initiative hin gegründet hatte, Aufträge für Gutachten in medizinstrafrechtlichen Verfahren in Höhe von 12,5 Millionen Euro zugeschanzt. Badle soll als Gegenleistung Kickback-Zahlungen erhalten haben – allein von August 2015 bis Juli 2020 über 240.000 Euro – unversteuert! Dabei bedrohte er außerdem Ärztinnen und Ärzte mit überhöhten Strafbefehlen, andernfalls käme es zu einem Prozess. Die Betroffenen zahlten selbst dann, wenn sie unschuldig waren, um die Ängstigung und Rufschädigung eines Strafprozesses zu vermeiden. In der Statistik des Systems Badle waren das erfolgreich abgeschlossene Fälle, mit denen er auftrumpfen konnte.

Ein Feuerwehrmann, der Feuer legt, um beim Löschen als Held dazustehen, das kennt man. Ein Krankenpfleger, der seine Patienten in Not bringt, um sie danach zu retten, das kommt vor. Polizisten machen hier und da gemeinsame Sache mit Verbrechern, auch nichts Neues. Aber dass Staatsanwälte als Angeklagte vor Gericht stehen, das ist selten. Zwar gab es einige wenige Fälle von Kinderpornographie, von Rechtsbeugung, Prozessverschleppung und Aktenvernichtung. Aber dass ein Staatsanwalt exakt das tut, was er bei anderen mit übergroßer Härte verfolgt, ist schon etwas ganz Besonderes. In Handschellen wird Alexander Badle in Frankfurt zur Zeit in den Gerichtssaal des Landgerichts geführt. Vorgeworfen werden ihm 101 Fälle von fortgesetzter gewerbsmäßiger Bestechlichkeit, 55 Fälle gewerbsmäßiger Untreue im Amt sowie 9 Fälle von Steuerhinterziehung.

Die Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen hat einen herben Rückschlag erlitten.