Kreißsaal: Geschlossen

Die Wege werden immer weiter

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Das Sterben von Krankenhäusern beginnt meistens mit der Schließung der Geburtshilfe. Das alles geschieht planlos, nur nach Bilanz, nicht bedacht und nicht nach Bedarf. Dr. Hontschik hat die Details.

Seit 2017 gibt es am Kreiskrankenhaus Alsfeld keine Geburtshilfe mehr, obwohl der Landkreis alles versucht hatte, um die Abteilung aufrecht zu erhalten. Im Jahr 2018 schloss die Geburtshilfe im Agaplesion Markus-Krankenhaus in Frankfurt, ein Jahr später folgten das Kaiserin-Auguste-Victoria-Krankenhaus in Ehringhausen, das Marienhospital in Darmstadt, das Diakoniekrankenhaus in Wehrda und das St. Elisabeth-Krankenhaus in Volkmarsen. Die Geburtsklinik im Hospital zum Heiligen Geist im nordhessischen Fritzlar steht auch schon auf der Abschussliste, denn sie überlebt auch nur mit Querfinanzierung durch lukrativere Abteilungen.

Die Begründungen für den Kahlschlag waren und sind immer gleich: zu wenig Geburten, Personalknappheit, zu hohe Kosten, unzureichende Finanzierung. Es ist schon eine bittere Ironie, dass das Sterben von Krankenhäusern meistens mit der Schließung der Geburtshilfe beginnt, und das alles geschieht planlos, nur nach Bilanz, nicht bedacht und nicht nach Bedarf.

2023 wird es in den Lahn-Dill-Kliniken in Dillenburg, dem zweitgrößten kommunalen Krankenhaus in Hessen, keine geburtshilfliche Station, keinen Kreißsaal mehr geben. Das dortige Belegarztsystem ist gescheitert, weil die gynäkologischen Fachärzte gekündigt haben und keine Nachfolger gefunden werden konnten. Das Hessische Sozialministerium „bedauert“ das, betont aber, dass die Versorgung der Schwangeren weiterhin gesichert sei. Na ja, dann ist ja alles halb so schlimm, oder? Man fragt sich, wozu es denn diese Station mit ihren etwa 500 Entbindungen im Jahr überhaupt je gegeben hat, wenn doch auch ohne sie alles „gesichert“ ist.

Ein Personalmangel sei nur vorgeschoben, der wahre Grund seien die roten Zahlen, sagt Martina Klenk, die erste Vorsitzende des Landesverbands der hessischen Hebammen: "Krankenhäuser werden nur noch nach Wirtschaftlichkeit beurteilt, nicht mehr als soziale Institution." Und wenn man weiß, dass Hebammen knapp 10.000 Euro im Jahr für ihre Berufshaftpflichtversicherung zahlen müssen, geburtshilflich tätige Gynäkologen und Gynäkoloinnen gar 70.000 Euro, dann wundert man sich, das sich für diese Arbeit überhaupt noch jemand findet. Inzwischen sind ganz Nordhessen und ländliche Bezirke wie der Vogelsbergkreis geburtshilfliche Wüsteneien, aber die Landesregierung hält die Versorgung dennoch für „gesichert“.

In den vergangenen zehn Jahren wurden dreizehn geburtshilfliche Stationen in Hessen aufgegeben. Auch im Heilig-Geist-Hospital in Bensheim gibt es seit Oktober 2019 keine Geburten mehr. Jedes Jahr waren dort etwa 500 Kinder auf die Welt gekommen. Das Hospital war 2016 an den privaten Klinikbetreiber Artemed verkauft worden, der die Schließung mit Personalmangel begründete. Da kamen einige Hebammen, lokale Politiker und Politikerinnen sowie tätige Bürger und Bürgerinnen zu einem Trägerverein für ein Geburtshaus zusammen. Sie überwanden alle Hürden, und sogar trotz der Stornierung von ursprünglich zugesagten Landeszuschüssen konnte das Geburtshaus am 1. April 2021 eröffnet werden, ein gutes Jahr später feierte man dort die einhundertste Geburt! Aber solche Geburtshäuser können stationäre Geburtshilfe im Krankenhaus nicht ersetzen, beides wird gebraucht, beides ist unverzichtbar.

Seit 2015 sind in Deutschland 115 geburtshilfliche Stationen und Kreißsäle geschlossen worden oder sind unmittelbar von Schließung bedroht. Gab es 1991 noch etwa 1200 Kliniken, in denen Geburten möglich waren, so sind es heute, knapp 30 Jahre später, nur noch etwas mehr als die Hälfte. Kann das immer so weitergehen? Ein erster Schritt zur Lösung des Problems wäre es, die katastrophale Unterfinanzierung der Geburtshilfe im diagnoseorientierten System der Krankenhausfinanzierung zu beenden. Erfahrene Hebammen wissen, dass eine Entfernung vom Wohnort zum Kreißsaal von mehr als dreißig Minuten nicht zu verantworten ist. Wenn die Wege vom Wohnort zum Kreißsaal also immer länger werden, wird es immer häufiger zu Komplikationen kommen, für Mutter und Kind.