Halbzeit für den Minister der Herzen

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens als Fetisch

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Im Dezember 2021 benannte Olaf Scholz sein Kabinett. Insider waren überrascht von seinen Worten, es hätten sich „die meisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gewünscht, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach ist, dass er das wirklich gut kann, und dass er Karl Lauterbach heißt.“

Wer ist Karl Lauterbach? Lauterbach war mal CDU-Mitglied und trat erst 2001 der SPD bei. Er hat zwar Medizin studiert, war aber nie als Arzt tätig. Er saß zwölf Jahre lang im Aufsichtsrat des privaten Klinikkonzerns Rhön-Kliniken. Er hatte in den vergangenen Jahren einige Niederlagen eingesteckt, hatte fast neun Jahre lang Ulla Schmidt auf diesem Posten zusehen müssen, landete im Jahr 2019 bei der Bewerbung um den SPD-Vorsitz mit 14,6 Prozent nur auf dem vierten Platz. Aber dann kam die Pandemie, seine große Chance!

Niemand außer Karl Lauterbach war fast täglich zu Gast in sämtlichen Talk-Shows des Fernsehens. Niemand konnte jederzeit und zu jeder Frage die passenden Studien aus aller

Welt zitieren. Niemand hatte die immer gleiche, unerbittliche, unentrinnbare Botschaft, indem er ständig allergrößtes Unglück voraussagte, wenn man nicht auf ihn höre: Lockdown, Lockdown, Lockdown. Spötter nannten ihn schon die Corona-Kassandra. Maybrit Illner hingegen titulierte ihren Dauergast als „Gesundheitsminister der Herzen“. Vor diesem medialen Dauerdruck ging Olaf Scholz in die Knie.

Lauterbach hat als Minister in vergangenen zwei Jahren ein Feuerwerk veranstaltet, wie es die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre zuvor noch nicht gesehen hat. Ein Krankenhaustransparenzgesetz, seiner „revolutionären“ Krankenhausreform vorgeschaltet, und eine Digitalisierung des Gesundheitswesens, wie sie trotz Milliardeninvestitionen bisher nicht gelungen war, so lauteten seine Versprechungen. Das eRezept, die eKrankschreibung waren ihm nur kleine Schritte auf dem Weg zu einem Digitalgesetz, einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz und zu einer elektronischen Patientenakte (ePA), wie sie der Deutsche Bundestag inzwischen tatsächlich beschlossen hat.

Bei seiner Rede im Plenum sprach Lauterbach von einem „Quantensprung“. Die ePA sei als ein persönlicher Datenspeicher aller Gesundheitsdaten und lebenslang für alle gedacht. Wer nicht ausdrücklich widersprochen hat, ist automatisch dabei, opt-out nennt man diese moderne Entmündigung. Außerdem sei die ePA ein Durchbruch für die Forschung, denn die verschlüsselten Daten werden der Politik, der Wissenschaft, den Krankenkassen und der Pharmaindustrie für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Ob das wirklich ein Quantensprung ist, das ist die Frage. Man kann das bewundern, man kann das bezweifeln.

Aber spätestens seit einem Interview, das Karl Lauterbach im November 2023 dem Spiegel gegeben hat, nehmen die Zweifel überhand. Allen Ernstes sagte er über die Vorteile der ePA in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz (KI): „Wenn ich als Arzt mit einem Patienten spreche, habe ich bereits seine alten Befunde im Computersystem. Ich frage: Wie fühlen Sie sich? Die ganze Zeit hört eine Spracherkennungssoftware zu und überträgt die Stichpunkte, die wichtig sind, in die elektronische Patientenakte ... (Ich) kann mit der KI über meine eigene ePA sprechen. Sie kann mir Empfehlungen geben, und ich kann sie fragen, ob bei meiner Behandlung vielleicht Fehler gemacht worden sind.“

Mir bleibt die Spucke weg. Als Arzt kann ich dazu nur sagen: Wer hat diesen Mann von der Leine gelassen, der von der Arzt-Patient-Beziehung und der Alltagsmedizin nicht die Spur einer Ahnung zu haben scheint? Für die medizinische Arbeit ist das alles entweder völlig unbrauchbar, oder es handelt sich nicht mehr um Medizin. Wenn die Probleme in der Realität überhand nehmen, dann flüchtet man in die Digitalisierung, die alle Probleme löst und fast zu einem Objekt religiöser Verehrung wird. Dieser virtuelle Unfug macht die Digitalisierung zu einem Fetisch.

Im realen Gesundheitswesen knirscht es aber an allen Ecken und Enden. Krankenhäuser wurden reihenweise in die Insolvenz getrieben. Für Arztpraxen finden sich keine Nachfolger, stattdessen entstehen investoren-, sprich profitgetriebene Medizinische Versorgungszentren. In den Apotheken mangelt es an Medikamenten hinten und vorne. Der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal in den Kliniken hat inzwischen katastrophale Ausmaße angenommen. Da kann der Herr Lauterbach noch so lange mit seiner Künstlichen Intelligenz plaudern. Es wird nichts helfen.