Essen als Kür

Vom Elend mit dem Essen im Krankenhaus

Dr. Hontschik

Dr. Hontschik

Schlechte Ernährung verlängert den Krankenhausaufenthalt, erschwert die Heilung und bei einem Fünftel der Tumorkranken ist die Todesursache nicht der Krebs, sondern die dekompensierte, unbehandelte Mangelernährung. Dr. Hontschik legt den Finger in eine schlimme Wunde.

Ein Krankenhausaufenthalt ist immer mit großen Sorgen verbunden. Man denkt an alles mögliche, an Schmerzen, man hat Angst. Man denkt überhaupt nicht ans Essen.

Doch worüber sprechen Patienten und Patientinnen danach? Sie erzählen auch von ihrer Krankheit, auch von gehetztem Pflegepersonal, auch von kaum sichtbaren Ärztinnen und Ärzten. Besonders gern aber erzählen sie vom Essen. Von schlechtem Essen. Das Essen als Quelle ständigen Ärgers. Das Essen war oft kalt. Das Essen hat nicht geschmeckt, es war nichts Frisches dabei, kein Obst, keine Rohkost. Individuelle Bedürfnisse wurden nicht berücksichtigt, Allergien und Unverträglichkeiten nicht immer beachtet. Die Liste der Beschwerden über das Essen im Krankenhaus ist lang. Dabei wäre das Krankenhausessen doch ein so wichtiger Beitrag zur Genesung. Wohl denen, die Freunde oder Angehörige in der Nähe hatten und sich Essen von zu Hause bringen lassen konnten.

Ellenlange Blogs finden sich im Internet, wo man sich über das Krankenhausessen auslässt. Frühstück und Abendbrot werden ähnlich beschrieben, mit geschmacklosen braunen Trockenscheiben, die wohl Brot sein sollen, begleitet von kleinen Plastikpäckchen mit Marmelade oder Honig am Morgen, mit Scheiben von nicht identifizierbaren Wurstsorten und randtrockenem aufgebogenem Scheibenkäse am Abend. Wenigstens zu Mittag konnte man meistens wählen zwischen Fisch, Fleisch oder Vegetarischem, aber geschmeckt hat es bis auf wenige Ausnahmen auch nicht.

In einem Interview mit MedWatch, einer investigativen Recherchegruppe im Gesundheitswesen, erklärte Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft: „Eine optimale Speisenversorgung ist für Kliniken ein Stück weit Kür“.

In anderen Worten: Das Essen im Krankenhaus ist zu einem reinen Kostenfaktor geworden, und Kostenfaktoren werden reduziert, bis es nicht mehr geht. Etwa fünf Euro pro Tag und Patient werden für das Essen veranschlagt, mehr nicht. Damit kann man keine großen Sprünge machen.

Damit befassen sich auch umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten: In dem renommierten britischen Fachblatt Lancet wurde 2019 von einer Untersuchung an über 5000 Krankenhauspatienten berichtet, die zur Hälfte Krankenhaus-Standardernährung erhielten, zur anderen Hälfte individuell konfigurierte Ernährung. Dieser zweiten Gruppe ging es signifikant besser, bis hin zu einer höheren Überlebensrate!

Man schätzt, dass drei Viertel aller Krankheiten mit einer Fehl- oder Mangelernährung zu tun haben, entweder ursächlich oder als Folge der Krankheit. Ein Viertel aller Krankenhauspatienten kommt schon mangelernährt dort an. Schlechte Ernährung verlängert den Krankenhausaufenthalt, erschwert die Heilung und bei einem Fünftel der Tumorkranken ist die Todesursache nicht der Krebs, sondern die dekompensierte, unbehandelte Mangelernährung. Daran kann man mit fünf Euro am Tag nichts ändern.

Mit unserem rein an Diagnosen orientierten Krankenhausfinanzierungssystem kann man eine medizinisch vertretbare Ernährung also nicht finanzieren. Das hat Herr Gaß mit der „Kür“ gemeint.